Mitteilungsblatt Nordheim

Neues aus Nordheim und Nordhausen (Archiv)

Dieser Artikel befindet sich im Archiv!

Nordheimer Geschichte

Erfasst von: Redaktion, JJ | 07.02.2024 – 29.02.2024

In eigener Sache:

Das Jubiläumsjahr 2023 mit der Veröffentlichung des Buches „Nordheimer Geschichten II“ sowie vielen Veranstaltungen und Höhepunkten ist abgeschlossen. Nun sollen im Jahr 2024 wieder einige Geschichten aus der Vergangenheit von Nordheim im Mitteilungsblatt veröffentlicht werden. Da es aber künftig von Seiten des Verlags keine monatliche Vollverteilung mehr gibt, die Geschichte aber immer in einer Vollverteilung erscheinen soll, wird die Reihe nicht mehr „Geschichte des Monats“ heißen, sondern ab jetzt einfach nur noch „Nordheimer Geschichte“.

Der interessierten Leserschaft wünsche ich viel Freude beim Lesen der „neuen“ Nordheimer Geschichten!

Ulrich Berger

Tankstellen in Nordheim

Die erste große Veränderung im Bereich Verkehr und Mobilität in Nordheim war die Eröffnung der Bahnlinie Heilbronn - Stuttgart im Juli 1848. Bedingt durch die zunehmende Industrialisierung nutzten immer mehr Menschen dieses Verkehrsmittel, um zu auswärts gelegenen Arbeitsplätzen zu gelangen. So nutzten 1902 bereits 151 688 Personen den Nordheimer Bahnhof als Abfahrts- oder Ankunftsort. Daneben gab es aber noch viele Arbeiter, die aus Kostengründen weiterhin zu Fuß nach Sontheim oder Heilbronn zu ihrer Arbeitsstelle marschierten.

Doch die Entwicklung ging weiter, und nachdem in Neckarsulm 1886 mit der Herstellung von „Zweirädern“ begonnen wurde, nahm auch in Nordheim der Besitz und die Nutzung von Fahrrädern als Fortbewegungsmittel zu. Mit dem Fahrrad konnte man schneller und bequemer größere Strecken zurücklegen, z.B. um zu weit außerhalb des Dorfes liegenden Äckern oder Weinbergen zu gelangen. Auch als Transportmittel war das Fahrrad bedingt tauglich, man konnte zumindest eine Felghaue, einen Rechen oder eine Schaufel mitführen sowie kleinere Lasten auf den Gepäckträger laden.

Fahrrad als Transportmittel
Fahrrad als Transportmittel

Die nachhaltigste Veränderung auf die Verkehrstechnik trat aber mit der Erfindung des Verbrennungsmotors Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts ein. Diese Erfindung führte zum Bau von motorisierten „Motorkutschen“ und motorgetriebenen Zweirädern. Die ersten Modelle waren zwar eher „Kutschen ohne Pferde“, doch bereits Bertha Benz zeigte mit ihrer legendären Fahrt im August 1888 von Mannheim nach Pforzheim, dass diese Fahrzeuge praxistauglich waren. Als bei dieser Fahrt der Kraftstoff zur Neige ging, diente die Stadt-Apotheke in Wiesloch als „Tankstelle“ indem der Apotheker „Ligroin“, ein Leichtbenzin für Reinigungszwecke, zur Verfügung stellte.

Mitglieder des Arbeiterradfahrerbundes „Solidarität“ vor der unteren Mühle
Mitglieder des Arbeiterradfahrerbundes „Solidarität“ vor der unteren Mühle

Als ab 1901 in Neckarsulm neben Fahrrädern auch Motorräder produziert wurden, ergriff die Zweiradbegeisterung auch die Bevölkerung von Nordheim, und es dauerte nicht mehr lange, bis 1906 ein „Radfahrverein“ gegründet wurde. Die vermutlich erste Reparaturwerkstatt für Fahrräder betrieb am Ort ab 1904 Ferdinand Zwirn, als Nachfolger sein Sohn August Zwirn (+1923).

Die ersten Fahrräder und Motorräder waren noch eine recht teure Anschaffung. Dennoch setzte sich vor allem das Fahrrad bald als Massenverkehrsmittel durch. In Nordheim gab es bereits in den 20er Jahren zwei Geschäfte, die Fahrräder und Motorräder verkauften und reparierten: Jeweils ein Ladengeschäft und angeschlossener Werkstatt hatten Wilhelm Botzenhardt in der Lauffener Straße (spätere Apotheke Olpp) und Adolf Rothweiler in der „Traube“ am Marktplatz.

Willy Sander mit seinem Motorrad Marke „Farnier“, das er 1918 von einem heimwärts ziehenden Soldaten erworben hatte (Foto 1923)
Willy Sander mit seinem Motorrad Marke „Farnier“, das er 1918 von einem heimwärts ziehenden Soldaten erworben hatte (Foto 1923)
Rennfahrer Hermann Widenmeyer
Rennfahrer Hermann Widenmeyer

Als es vermutlich Ende der 20er Jahre neben den Motorradfahrern die ersten Autobesitzer in Nordheim gab, wurde auch die Nachfrage nach Kraftstoff/Benzin zunehmend mehr. Zu den ersten Autobesitzern in Nordheim gehörten Willy Sander und Otto Frank. Auf Grund der steigenden Nachfrage nach Kraftstoff für Motorräder und Autos reichten Rothweiler und Botzenhardt gleichzeitig am 11.6.1927 bei der Gemeinde ein Gesuch zur Errichtung einer Tankanlage ein. So kam es zu gleicher Zeit zu den beiden ersten Tankstellen in Nordheim.

Willy Sander repariert seinen Bugatti (Bj. 1923)
Willy Sander repariert seinen Bugatti (Bj. 1923)
Auto von Otto Frank, Ende 20er Jahre
Auto von Otto Frank, Ende 20er Jahre

1927: Tankstelle Rothweiler, am Marktplatz

Die Tankstelle von Rothweiler bei der Traube am Marktplatz wurde von der „Deutsch-Amerikanischen-Petroleumgesellschaft Mannheim“ eingerichtet. Vor Ort wurde sie bis zum II. Weltkrieg von Adolf Rothweiler betrieben. Siegfried Marx, Schwiegersohn von Rothweiler, betrieb diese Tankstelle mit Werkstatt ab 1.1.1950. Ab 1951 vermietete die Gemeinde die Fläche auf dem Marktplatz an die „Minera Mineralöl-Gesellschaft mbH.“ für jährlich 120 Mark. Probleme gab es wegen dem zu geringen Abstand zwischen Gebäudewand und Zapfsäule von nur 80cm. Der erforderliche Abstand betrug 3m! Eine Überdachung konnte wegen den darüberliegenden Fenstern nicht angebracht werden. Als Notlösung und Kompromiss mussten die Fenster über der Zapfsäule dauerhaft fest verschlossen bleiben. Anfang der 60er Jahre kam es zu mehreren Besitzer- und Pächterwechseln, weshalb die Tankstelle des Öfteren immer wieder geschlossen war. Auch mit der Qualität des Kraftstoffes waren die Kunden häufig unzufrieden. Im Jahr 1963 wurde der Betrieb schließlich endgültig aufgegeben. Der Erdtank wurde 1967 von der Firma Minera „eingeschlämmt“, da ein Ausbau unwirtschaftlich gewesen wäre.

Tankstelle am Marktplatz
Tankstelle am Marktplatz

1927: Tankstelle Botzenhardt, Lauffener Straße 12
Die Tankstelle von Botzenhardt in der Lauffener Straße wurde vom „Rhenania-Ossag Mineralölwer AG“ in Ludwigshafen eingerichtet. Auch diese Zapfsäule stand zu nahe am Haus und hatte keine eigene Fahrspur für Kunden. Die zu betankenden Autos standen auf dem Gehweg. Ähnlich wie bei Rothweiler gab es auch hier ein Ladengeschäft mit Schaufenster sowie eine Reparaturwerkstatt. Wilhelm Botzenhardt verkaufte neben Fahrrädern auch Motorräder sowie Motorroller. Außerdem betrieb er ein Taxiunternehmen. Für Fahrten ins oder vom Krankenhaus Lauffen wurde oft der Fahrdienst dieses Unternehmens genutzt, z. B. auch zur Abholung der in Lauffen geborenen Babys und deren Mütter. Die Tankstelle („Shell“) mit Werkstatt und Fahrradhandel wurde 1956 aufgegeben, das Mietwagengeschäft endete 1960. Im gleichen Jahr eröffnete der Apotheker Werner Olpp an dieser Stelle die erste Apotheke in Nordheim.

Frau Botzenhardt an der Zapfsäule
Frau Botzenhardt an der Zapfsäule
Werbung 1927
Werbung 1927
Werbung 1952
Werbung 1952

1930 gab es eine Anfrage und Pläne bezüglich einer Tankstelle beim Gebäude 34 an der Brackenheimer Straße (etwa gegenüber der späteren Weingärtnergenossenschaft) von der Firma Olex, Deutsche Petroleum-Verkaufsgesellschaft Berlin. Dieses Vorhaben konnte nicht verwirklicht werden, es fehlte am Platz für die Kundenfahrzeuge bzw. für eine eigene Tankspur.

Einige wenige Jahre betrieb Albert Hachtel in der Kirchstraße eine Motorrad- und Fahrradhandlung mit Reparaturwerkstatt. Dieser Betrieb existierte allerdings nur von April 1949 bis Ende 1952.

Etliche Landwirte und kleinere Gewerbebetriebe besaßen früher auf ihrem Betriebsgelände eigene kleine Tankanlagen Sie wurden als „Eigenverbrauchstankanlagen“ oder auch als „Kleintankstellen“ bezeichnet. Das konnten z.B. Fässer von 200 bis 600 Liter Inhalt für Benzin oder Dieselkraftstoff mit einer dazugehörenden Pumpe sein. Der Diesel für die Landwirtschaft wurde subventioniert. Damit der Treibstoff der Landwirte nicht für private PKW’s zweckentfremdet werden konnte, erhielt er einen farbigen Zusatzstoff.

Da früher die Motorräder und einige Autos von einem Zweitaktmotor angetrieben wurden, mussten die Tankstellen „Mischung“ bereithalten. Beim Zweitaktmotor erfolgt nämlich die Schmierung direkt durch den Kraftstoff, dem das Öl im vorgegebenen Verhältnis beigemischt werden musste. Das Öl konnte „von Hand“ beigemischt werden, oder die Tankstelle besaß eine spezielle „Zweitaktzapfsäule“ mit Handpumpe und Schauglas. Nach der Mischprozedur im gewünschten Verhältnis konnte das Gemisch in den Tank eingefüllt werden.

1960/64: Eine geplante Tankstelle an der Heilbronner Straße
In den 60er Jahren nahm der Verkehr immer mehr zu, und eine immer größer werdende Zahl von Autobesitzern war absehbar. Doch zwischen Heilbronn und Brackenheim gab es keine Tankstelle! Aus diesem Grund plante „Esso“ 1959/60 am Ortsausgang von Nordheim, auf der linken Seite in Richtung Klingenberg gesehen, eine Tankstelle mit PKW-Pflegeraum, Verkaufs- und Kundenraum, Lager und WC. Zu diesem Zweck wurde ein Grundstück zwischen Friedhof und Heilbronner Straße nach dem Anwesen der Familie Hirsch langfristig angemietet. Die Baugenehmigung für dieses Vorhaben wurde am 3.10.1960 erteilt. Doch der Einspruch eines Angrenzers (der nicht in Nordheim wohnte) sowie Bedenken des Pfarrers samt Kirchengemeinderat wegen möglicher Störungen während Beerdigungen verzögerten das Vorhaben. Als dann 1960/61 eine Esso-Tankstelle am Ortsausgang von Klingenberg realisiert werden konnte, bestand für „Esso“ kein Interesse mehr an einer Tankstelle in Nordheim. Um 1962 wurden die Pläne an derselben Stelle vom ARAL-Konzern noch einmal aufgegriffen. Doch auch hier gab es Einspruch wegen Störung der Ruhe und Würde des Friedhofes sowie wegen der Beeinträchtigung des Orts- und Landschaftsbildes. Damit kam dieser Standort für eine Tankstelle in Nordheim endgültig nicht mehr in Frage.

1964: Tankstelle Sander, Brackenheimer Straße (heute Shell-Tankstelle)
Bereits Ende 1962 reichte Karl Sander ein Baugesuch ein für eine Tankstelle am Ende der Brackenheimer Straße auf der linken Seite Richtung Nordhausen. Dieses Projekt mit Wohnhaus, Werkstatt und Tankstelle wurde genehmigt und 1964 fertiggestellt und als DEA-Tankstelle und Opel-Vertragswerkstatt in Betrieb genommen.

Bereits 1979 musste die Werkstatt erweitert werden. 1988 erfolgte der Abbruch der alten Zapfanlage, und eine Serviceinsel mit zwei Zapfinseln und großer Überdachung wurde neu errichtet. Im Rahmen des Besitzerwechsel um 1996/1997 hat man die Tankstellen-Nebenräume erweitert, die Erdtanks ausgetauscht sowie die Zapftechnik erneuert. Die alte Waschanlage hat man 2016 ausgetauscht. Mit dieser modernen Shell-Tankanlage besitzt Nordheim heute nun eine großzügige Tankstelle mit einer Vielzahl verschiedener Kraftstoffe, einem Verkaufsshop, einer Waschanlage und einer angegliederten Spezialfirma für Fahrzeuginnen- und Außenreinigung.

Ob es in einigen Jahrzehnten Tankstellen in dieser Form noch geben wird, bleibt abzuwarten. Die technische Entwicklung zielt auf den Antrieb der Kraftfahrzeuge mit Elektromotor ab, dann werden künftig Benzin- und Dieselzapfsäulen überflüssig. Die Infrastruktur für elektrische Ladesäulen muss dafür aber erst noch aufgebaut werden. Wann das E-Auto als Massenfahrzeug den Markt erobert haben wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Hinzu kommt, dass auch weitere Alternativen wie z.B. der Antrieb mit Wasserstoff im Gespräch sind.

Ulrich Berger

instagram