Mitteilungsblatt Nordheim
Neues aus Nordheim und Nordhausen
Nordheimer Geschichte
Erfasst von: Redaktion, Azubi | 07.10.2024
Armenbrot, Suppenküche und Kostkinder
Um die Not der Ärmsten im Dorf zu lindern und um der Christenpflicht nachzukommen gab es früher auch in Nordheim verschiedene Hilfs- und Unterstützungseinrichtungen für die sogenannten Haus- oder Ortsarmen. Etwas wohlhabendere Menschen spendeten Geld in die Stiftungskasse der Kirche (Armenkasten) oder vermachten es testamentarisch mit ihrem Tod an den Heiligen.
Nordheim
Extractus (=Auszug)
Aus weylt. (= verstorben) Christoph Friedrich Kaysers
gewesenem Rathsverwandten (= Gem.rat) u. Rosen-
wirths dahier Sub dato 30. May 1799 errichtet und d. 27. Junii h.ai. (hujus anni = dieses Jahr) publicierten
Testament, nach welchem
dem Heyligen dahier ein Legat von
Sechs Gulden
Stipulirt (=festgesetzt) und verordnet wurde, daß
der Zinnß hievon zu Brod verwendet
und für Arme ausgetheilt werden solle.
Ein solches bezeugt d. 13. Juli 1799
Gerichtschreiber
C.G.Seybold
Diese Gelder wurden vom Stiftungspfleger (Heiligenpfleger, heute Kirchenpfleger) verwaltet. Da es früher keine Bank im Ort gab, konnte man beim Heyligen gegen eine entsprechende Sicherheit auch Geld zu einem Zinssatz von 5% ausleihen. Mit diesen Zinseinnahmen aus den Stiftungsbeiträgen wurden dann Ortsarme unterstützt, z.B. durch Brotspenden, Kauf von Schulbüchern oder Bibeln usw.
An bestimmten Terminen im Jahr, z.B. am Erscheinungsfest (6. Januar), wurde aus diesen Stiftungserträgen das Neujahrsbrot oder Armenbrot verteilt. In Listen wurde jeweils namentlich festgelegt, welche Hausarmen wieviel Brot zugeteilt bekommen. Dabei wurden an 20 bis 30 Personen Brotlaibe von 4 bis zu 7 Pfund verteilt, je nach Familiengröße und Bedarfslage, wobei es auch halbe Laibe gab.
Im Gemeinderatsprotokoll von 1847 kann man nachlesen: Im Theuerungsjahr 1847 wurde, wie in vielen anderen Gemeinden, so auch hier, zu Abwendung der Noth bei den ärmeren Ortsangehörigen, eine Suppenanstalt gegründet, im Ganzen 9899 ½ Portionen Suppe ausgetheilt, und hiefür á 2x per Person angesetzt, macht 329 Gulden 59x. Ortspolizist Bechtle hatte nun die undankbare Aufgabe, da wo es möglich war, das Suppengeld von 2 Kreuzer pro Person bei den Essern einzukassieren. Den gänzlich zahlungsunfähigen Personen wurde ihre Schuld erlassen.
Durch eine Spende von Fräulein Seybold (vermutlich Agathe, *1836, Tochter von Wilhelm und Amalie Seybold) konnte 1852 ein Sonntagskosttisch für Ortsarme eingerichtet werden. Mittels einer weiteren Spende dieser Dame von 10 Gulden wurden bei Hafner Traugott Hechler 30 irdene Teller gekauft, aus welchen arme Kinder gespeist wurden.
1852 wurden die besser gestellten Familien gebeten, an arme Kinder und an alte, arbeitsunfähige Personen etwas von ihrem Essen abzugeben. Gebrechlichen Menschen und kleinen Kindern von 1 - 4 Jahren sollte das Essen ins Haus gebracht werden. In den Akten zum Armenwesen im Pfarrarchiv steht dazu:
„Schon seit dem Monat Februar d[ieses] J[ahres] sind zusammen 23 Kinder ärmerer Eltern bei verschiedenen Vermöglicheren GemeindeAngehörigen unentgeldlich in Kost untergebracht, welche Einrichtung bis zur nächsten Erndte fortbestehen soll. Auch 5 erwachsene Personen dürfen täglich ihre Kost in den Häußern holen. An 11 Sonntagen wurden je 30 bis 36 arme Kinder Mittags, in der Schule, mit Suppe gespeißt, u[nd] die Kosten mit freiwilligen Beiträgen gedekt.“
1852 wurden 36 bis 38 Kostkinder in verschiedenen Häuser zum Essen geschickt. 1855 wurden noch 26 Kinder verköstigt. Die Kinder sollten zumindest laufen und selbstständig essen können. Den Eltern von unterstützten Kindern war das Betteln im Dorf unter Androhung von Strafe verboten worden.
Abschrift:
In der Mitte des 19. Jahrhunderts führten mehrere Missernten und die Folgen der Kartoffelkrankheit zu großen Preisanstiegen und Hungersnot. In Nordheim (und in vielen anderen Gemeinden) wurden Suppenanstalten für Arme eingerichtet und die Gemeinde kaufte Kartoffeln, Mehl und Getreide zur Verteilung an Bedürftige. Kaufmann Wilhelm Seybold machte 1852 eine Spende von 4 Scheffel Dinkel und 2 Scheffel Weizen (je etwa 5 bis 6 Zentner) an die Gemeinde, was für 134 Brotlaibe von 4, 5 und 6 Pfund mit einem Gesamtgewicht von insgesamt 921 Pfund reichte. Die Gemeinde bedankte sich bei Wilhelm Seybold für diese großzügige Spende mit einer Dankesanzeige im „Schwäbischen Merkur“ (Stuttgarter Tageszeitung, damals führende Zeitung im Königreich Württemberg).
Einkäufe für die Suppenzubereitung: Rindfleisch, Mehl, Milch und Salz:
Rechnungen von Lammwirt und Metzger Gottlob Diem und Ochsenwirt Golter für die sonntägliche Suppenanstalt für Kinder 1852
Der Bericht über das Armenwesen 1852 zählt auf, dass 17 Personen regelmäßige Geldunterstützung aus der Gemeindekasse erhielten – mehr als doppelt so viele wie in früheren Jahren. 65 Männer und 10 Frauen wurde in diesem Jahr die Möglichkeit gegeben, durch Arbeiten für die Gemeinde ein wenig Geld zu verdienen. Der Bericht informiert auch über die Art dieser Arbeiten: „Steinklopfen, Einwerfung derselben auf die Straßen, Reinigung der Strassen Candel u. des Pflasters innerhalb Etters, Herstellung der Feldwege, Fertigung von Waßerabzugsgräben, u. Reinigung der Bronnentrög, auch eisen [= von Eis befreien] der öffentl. Bronnen im Winter, Holztragen p.“
Die Notwendigkeit, dass arme Personen oder Familien auf Unterstützung der Gemeinde angewiesen waren, dauerte bis ins 20. Jahrhundert hinein. Bis 1924 war der Armenrat dafür zuständig, danach wurde daraus die Ortsfürsorgebehörde.
Viele verarmte Bürger verließen im 18. und 19. Jahrhundert ihre Heimat aus Gründen der Not und wanderten in der Hoffnung aus, im Ausland eine bessere Zukunft für sich und ihre Nachkommen zu finden. Auch in der heutigen Zeit wird die Armutsproblematik wieder neu diskutiert und zunehmend aktuell.
Ulrich Berger
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