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Mitteilungsblatt Nordheim

Neues aus Nordheim und Nordhausen

Nordheimer Geschichte Dezember 2024

Erfasst von: Redaktion, Aslan, Selin | 09.12.2024

Badespaß in Nordheim: Plantschen – Baden – Schwimmen

Eine Freibadgeschichte im Dezember ist ungewöhnlich. Doch dafür gibt es einen Grund: Am 13. Dezember wird im Haus der Geschichte in Stuttgart eine Ausstellung eröffnet über die Bedeutung und die Geschichte von Freibädern mit dem Titel „Frei Schwimmen - Gemeinsam?!“. In dieser Ausstellung, die von dem Nordheimer Historiker Dr. Sebastian Dörfler kuratiert wurde, werden u.a. auch Bilder und Dokumente aus der Geschichte des Nordheimer Freibades gezeigt. Das ist Anlass genug, sich mit der Geschichte des Nordheimer Freibades und dessen Vorgeschichte, dem Baden im Neckar, etwas genauer zu beschäftigen. Außerdem soll diese Geschichte eine Anregung dafür sein, diese Sonderausstellung in Stuttgart zu besuchen (Dauer der Ausstellung: 13.12.2024 – 14.09.2025). Der Heimatverein bietet im April einen geführten Ausstellungsbesuch an.

Dass Menschen schwimmen, ist seit uralten Zeiten bekannt. Dabei ist der Lebensraum der Menschen ein entscheidender Faktor für das Schwimmenlernen. Leben sie an einem Fluss, einem See oder am Meer, hat das Einfluss auf ihr Verhältnis zum Wasser und zum Schwimmen. Die Bewohner von Nordheim lebten und leben an einem Fluss, dem Neckar. Die Gemeinde hatte aber keinen eigenen Zugang zum Ufer des Flusses, da bei Nordheim die Markung Lauffen an die Markung Klingenberg angrenzt. Nordheim besaß keinen eigenen Markungsabschnitt am Neckar. Wer im Neckar baden oder schwimmen wollte, musste entsprechende auswärtige Badeplätze aufsuchen. Interessant ist eine Aktennotiz mit Skizze aus dem Jahr 1905 von Flussmeister Enssle. Dabei geht es um einen Badeplatz für Nordheimer auf Klingenberger Markung. Dieser Badeplatz wurde in 3 Bereiche eingeteilt: Nr. I (in der Skizze oben) ist der Badeplatz für verheiratete Personen, Nr. II nicht erlaubte Stelle, zu gefährlich, und Nr.III für ledige erwachsene Personen. Dass hier nach verheiratet/ledig getrennt wird, ist ungewöhnlich. Eher üblich war eine Trennung nach Geschlecht. Für Nordheimer Kinder war kein Badeplatz vorgesehen. Flussmeister Enssle empfiehlt: Die Schulkinder können vielleicht nächst der Schwarzkopf’schen Sägmühle oder bei den Klingenberger Kinder baden…

Ein anderer Badeplatz wurde auf Lauffener Markung von der Gemeinde Nordheim seit 1921 pachtweise betrieben, und zwar abgeteilt in ein Männer- und ein Frauenbad auf der unteren Hummelwiese. In diesem Vertrag wird die Einzäunung des Badeplatzes verlangt sowie die Aufstellung einer Warnungstafel mit der Aufschrift „Badeplatz für Nordheimer Einwohner“. Der Pachtzins betrug 1923 12 Reichsmark.

Dass Nordheimer Bürger schon vor Jahrhunderten im Neckar badeten und dass das nicht ungefährlich war, belegen Einträge im Totenbuch. Dort wird anfangs des 18. Jahrhunderts von zwei tragischen sonntäglichen Badeunfällen mit tödlichem Ausgang berichtet:
Den 27. Juli 1704 ist Johann Martin Bender als er Sonntags nachmittags im Neckar baden wolte, darin ertrunken, und als er 9 Tag darauf gefunden, den 7. Aug. allhier begraben worden, seines Alters 33 Jahr 9 Monat.

Den 21. August 1718 ist Michel Schön, Paul Rüsers Mezgerjung als Er im Necker an einem Sonntag gebadet und die kinderlehr versaumt, im Waßer ersoffen, und seq. begraben…

Zwei weitere tragische Badeunfälle im Neckar in den Jahren 1852 und 1876 finden sich im Archiv in einer Liste über Unglücksfälle von 1840 bis 1967 (GAN, A 1051):
Am Sonntag, den 4. Juli 1852 ertrank nachmittags zwischen 2 und 3 Uhr der 13jährige Schüler Wilhelm Siegler, Sohn des Bäckers Wilhelm Siegler. Trotz Warnung wagte sich der Verunglückte, der nicht schwimmen konnte, am Klingenberger Badeplatz ins tiefe Wasser. Da auch von seinen anwesenden Freunden keiner schwimmen konnte, war keine Rettung möglich.
Besonders hart und tragisch traf es die Familie des Johann Frank, Philipps Sohn. Der 17jährige Sohn Wilhelm, ein Schreinerlehrling, badete am Sonntag, den 30. Juli 1876 mit mehreren Alterskameraden im Neckar. Auch er wagte sich zu weit hinaus und ertrank vor den Augen seiner Kameraden. Der Leichnam wurde erst am nächsten Tag bei der Sontheimer Fähre gefunden. Zehn Jahre später ertrank 1886 die Schwester dieses Verunglückten im Alter von 25 Jahren, und 1895 beging der Vater Selbstmord, in dem er sich im Neckar ertränkte.

Die Ursachen derartiger Unfälle waren vor allem die mangelnden Schwimmkenntnisse der Jugendlichen, aber auch die nicht kalkulierbare Tiefe und Strömung des damals noch ziemlich wild fließenden Neckars mit seinen Strudeln. Wie wichtig das Schwimmenlernen bereits im Kindesalter ist, zeigen diese traurigen Beispiele.

Große Veränderungen für das Baden im Neckar brachte der Kanalbau zur Schiffbarmachung des Neckars ab 1922 mit sich. In den Jahren 1927-1929 wurde zudem der Bau der Horkheimer Schleusen durchgeführt. Das Neckarwasser wurde danach im Kanal den Horkheimer Schleusen und dem in Horkheim erstellten Kraftwerk zugeführt. Das Altbett des Neckars bei Nordheim und Klingenberg erhielt kaum mehr Wasserzufluss, stehendes Wasser und eine Schnakenbrutstätte waren die Folge. Der Anblick wird als „trostlose Wüste“ beschrieben, im Neckar bei Nordheim oder Klingenberg schwimmen konnte man nahezu nicht mehr. In Horkheim wurde zwar im Rahmen der Kanalbauarbeiten am Unterwasser eine mit Betonwand gesicherte Bademöglichkeit für Nichtschwimmer geschaffen. Schwimmer konnten das Unterwasser bis ca. 10 m vor der Turbine benutzen. Doch für Nordheimer Einwohner war dieses Bad zu weit entfernt, außerdem musste man dort Eintritt bezahlen. Als Folge dieser Entwicklung wurde in den 30er der Wunsch nach einem Schwimmbad immer stärker. Es gab Überlegungen, ein Schwimmbad am Breibach einzurichten, doch es fehlten die finanziellen Mittel für ein solches Vorhaben.

Badeplatz Horkheim, 1933
Badeplatz Horkheim, 1933

Im Juni 1937 wurde zum wiederholten Mal im Gemeinderat über die in Nordheim fehlende Bademöglichkeit beraten. Von der Stadt Lauffen gab es ein Kaufangebot für ein 30 ar großes Grundstück am Neckarufer zum Preis von 2298 RM. Dazu kämen noch entsprechende Baukosten für eine Badeanlage. Das war nicht finanzierbar. Aus der Mitte des Gemeinderates kam der Vorschlag, eine Badegenossenschaft zu gründen zur Schaffung der finanziellen Grundlage für ein Freibad. Damals standen in Nordheim viele weitere Aufgaben an: Es mangelte in Nordheim nicht nur an einem Freibad, sondern auch an einer ausreichenden Turnhalle. Zudem war die Wasserversorgung unzureichend und der Platz auf dem Friedhof an der Bahnhofstraße wurde knapp. Dieser war ringsherum umbaut und konnte somit nicht erweitert werden, es war eine völlige Neuplanung erforderlich. Alle diese Vorhaben und Aufgaben führten die finanzschwache Gemeinde Nordheim in eine schwierige Situation, zumal auch die Entwicklung der außenpolitischen Verhältnisse nichts Gutes versprach. Doch die Schaffung eines Freibades wurde aus allen Bevölkerungskreisen als absolut dringend gefordert. Anfang 1939 gab der Gemeinderat seine Zustimmung zur Schaffung eines Freibades und versprach, alles zu unternehmen um möglichst bald mit dem Bau beginnen zu können. Aber in der Bauwirtschaft drehte es sich vor allem um die Fertigstellung des Westwalls (630 km langes Verteidigungssystem mit Panzersperren Bunkern, Stollen usw. an der westlichen Grenze von Deutschland). Sämtliche Baumaterialien und Arbeitskräfte wurden diesem politischen Vorhaben untergeordnet. Eine Baugenehmigung war deshalb nur im Ausnahmefall und unter größten Schwierigkeiten zu bekommen. So musste z.B. das Arbeitsamt Stellung zum Baugesuch nehmen und auf Anweisung der NSDAP einen schriftlichen Nachweis vorlegen, dass nur freie Arbeitskräfte aus der Bevölkerung am Bau dieses Freibades mitwirken.

Im Februar 1939 wurde in einer Bürgerversammlung im Saal der „Rose“ die Lage besprochen. Die Versammlung war sich einig, dass man unter allen Umständen das Freibad bauen sollte. Die Bedingung war nun, dass jeder männliche Jugendliche und Erwachsene unentgeltlich 40 Stunden Arbeit am Freibadbau leistet. Wer das aus gesundheitlichen oder anderen Gründen nicht machen konnte, sollte 24 RM spenden. Auch Fuhrleistungen in dieser Höhe konnten abgeleistet werden. Bereits Anfang April gingen Beauftragte von Haus zu Haus mit vorbereiteten Listen, um diese Verpflichtung der Bürger in schriftlicher Form einzuholen (siehe Bild). Bis zum 14. April hatten sich 450 arbeitsfähige Männer für den Freibadbau bereiterklärt. Als Architekt konnte der frühere Heilbronner Stadtbaurat Tscherning gewonnen werden. Er war bereits im Ruhestand, hatte aber gute Verbindungen zu allen notwendigen Ämtern und Stellen. Er plante ein 50m langes und 20m breites Badebecken mit Schwimmer- und Nichtschwimmerbereich sowie ein 20 m² großes Kinderplanschbecken. Außerdem war noch eine Dusche, ein Kassen- und ein Aborthäuschen und Umkleidekabinen vorgesehen. Die Gesamtkosten wurden auf 33 500RM veranschlagt. An Unternehmer vergeben wurde nur der Aufbau der Schalung und das Mischen des Betons. Alle anderen Arbeiten mussten mit ehrenamtlichen Helfern durchgeführt werden. Dazu gehörte z.B. das Fällen der auf dem Gelände vorhandenen Bäume, der Aushub von rund 3000 m³ Erde mit dem Spaten und der Abtransport der Erde aus 4 m Tiefe mit Loren auf einer aufgebauten Feldbahn mit der Hilfe von Pferden.

Der zeitliche Ablauf des Bauvorhabens lief hervorragend. Erster Spatenstich war am 20. April 1939. Bereits am 8. August waren die Betonarbeiten fertig, und am 26. August abends war der erste

Erster Spatenstich am 20.4.1939
Erster Spatenstich am 20.4.1939
Schüler helfen beim Betonieren
Schüler helfen beim Betonieren
Frauen helfen beim Streichen
Frauen helfen beim Streichen

Farbanstrich mit einer speziellen Unterwasserfarbe aufgetragen, und am Sonntag, den 24. September 1939 wurde das Becken zum ersten Mal voll mit Wasser gefüllt. Viele Interessenten bestaunten an diesem Tag dieses Nordheimer Bauwunder! Der Wasserzufluss aus der Quelle vom alten Sportplatz und von den Breibachquellen war so, dass das Becken bei einer Neufüllung in etwa 32 Stunden voll war. Erfreulich und erwähnenswert ist die Tatsache, dass trotz der großen Zahl von oftmals auch unerfahrenen Helfern, sich kein einziger Unfall während der Bauarbeiten ereignet hat. Über den Winter 1939/40 und während des Frühjahrs konnten die Nebengebäude errichtet und die Bepflanzung fertiggestellt werden. Die offizielle Eröffnung des Freibades wurde auf den 20. Mai 1940 festgelegt. Nun hatten die Nordheimer endlich ihr eigenes Freibad im Ort, das Baden im Neckar war kein Thema mehr. Der erste Badewärter war Wilhelm Rügner (Schausteller), ein gedienter Matrose, der schwimmen konnte (!). Der Eintritt kostete für Kinder 10 Pfennig, Erwachsene bezahlten 20 Pfennig. Eine Jahreskarte für Erwachsene kostete 3 RM, Kinder bezahlten dafür die Hälfte. Die Gebühren wurden im ersten Jahr bewusst niedrig gehalten, da die Außenanlage bzw. das Gelände noch nicht den Anforderungen eines zeitgemäßen Freibades entsprachen.

Freibad bis 2007
Freibad bis 2007
Freibad seit Mai 2008
Freibad seit Mai 2008

Die heutige Situation:

Von September 2007 bis Mai 2008 wurde das alte Nordheimer Freibad abgebrochen und ein komplett neues Bad gebaut mit Mehrzweckbecken, 3m-Sprunganlage, 5 Schwimmbahnen 25m und Nichtschwimmerbereich mit Attraktionen sowie Umkleide- und Sanitärgebäude, Eingang und Kiosk mit Kasse. Am 9.5.2008 wurde das für 3,75 Millionen Euro neugestaltete Freibad wieder eröffnet. Das neue Schwimmer- und Nichtschwimmerbecken besteht aus einer Edelstahlwanne, und auch das Kinderbecken wurde neugestaltet. Außerdem gibt es eine 60m lange Wasserrutsche mit 18-Meter- Tunnel. Das Freibad hat nun eine moderne Wasseraufbereitungstechnik, zur Unterstützung der Wassererwärmung wird Sonnenenergie genutzt. Finanzielle Hilfe erhielt das Großprojekt durch den Freibadförderverein und von der von Marvalschen Stiftung. Das Nordheimer Freibad ist weit über die Grenzen von Nordheim hinaus beliebt und bekannt.

Ulrich Berger

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